Verein für Heimatkunde Merzig e.V.
  

Die Brückensicherung Merzig – Ein fotogenes Westwall-Bauwerk der Superlative

Bis vor einigen Jahren rankte sich um die Anlage WH 349 an der Hilbringer Brücke bei Merzig ein großes Mysterium. Während die Verbindungsgänge zwischen den Eingangs- und Kampfblöcken von Jedermann begangen werden konnten und Martin Büren in „Der Westwall – Die Geschichte der deutschen Westbefestigungen im Dritten Reich“ ein Aufmaß des Multi-MG-Standes im Brückenwiderlager präsentieren konnte, bot der PAK-MG-Kampfblock an der Brückenzufahrt immer wieder Platz für Spekulationen. Mitunter war die Rede von PAK-Drehtürmen [3], es schwirrten abenteuerliche Rekonstruktionsversuche durch Literatur und Netz, meist auf der Basis von wenigen Fotos und einer Prise eigener Interpretation. So war laut den Dawa-Nachrichten Nr.49, herausgegeben am 01.08.2002, der Forschungsgruppe Westwall nur ein einziges Foto bekannt, welches die Anlage intakt zeigt [5]. Da sich dies in den letzten Jahren grundlegend geändert hat und die Brückensicherungsanlage Merzig zu so etwas wie dem „Topmodel“ der Bunker aufgestiegen ist, soll dieser Beitrag einen Blick auf die sich daraus ergebenden Erkenntnisse werfen.


  Abb. 1: Brückensicherung Merzig – Übersicht über die ursprüngliche Bunkeranlage:

 1: Multi-MG-Block; 2: linker Eingang, 3: rechter Eingang, 4: PAK-MG-Block


 Die Geschichte der Brückensicherung Merzig ist eng verknüpft mit dem Ausbau der Saar als Kampfwagenhindernis. Als Saardurchstiche IX und X fanden ab dem Jahr 1938 zwei Begradigungen der Saar bei Merzig statt, die, neben den Vorteilen für die Schifffahrt und der Wasserführung, vor allem von der InFest zum Zwecke der Landesverteidigung gefordert wurden. Für die Arbeiten sollten insgesamt 550.000 m³ Erdmassen anfallen [1].

 






Abb. 2: Skizze der Saardurchstiche X und XI bei Merzig (1939)

Alle ab 1937 errichteten Anlagen südlich der Brückensicherung waren bereits am geplanten neuen Saarverlauf orientiert. Durch die Verlegung der Saar wurde auch eine neue Brücke notwendig, die in einem Winkel von 30° zur bisherigen Brücke, in der Flucht zur Eisenbahnunterführung, den Fluss überqueren sollte, während zuvor eine S-Kurve um das Gelände des heutigen Kaufland-Marktes herum notwendig war. Zur Absicherung des strategisch wichtigen Saarübergangs von Hilbringen nach Merzig, wurde eine massive und aufwendige Westwallanlage in Festungsbaustärke B-Alt errichtet, deren Kosten sich auf 475.000 Reichsmark beliefen. Auf der Liste für die Kostenaufstellung des Fest.Pi.Stabs 2 vom März 1939 findet sich die alte Bauwerksnummer der Brückensicherung, 38410/11, war darauf hinweist, dass für die Anlage zunächst der Festungspionierstab 13 Trier zuständig war [6].

 

Abb. 3: Die verlegte Saar und die daran orientierten Bunkeranlagen auf der NARA-Karte (1940)


Die Ähnlichkeit einzelner Anlagenteile zur Brückensicherung Besseringen legt nahe, dass die Brückensicherung Merzig in Trier geplant wurde. Für den Bau zeichnete sich schließlich jedoch der Fest.Pi.Stab 2 verantwortlich, dem der Abschnitt Mettlach - Saarfels später zugewiesen wurde.


Insgesamt wurden vier Bunkeranlagen durch ein Hohlgangsystem miteinander verbunden, welches wie ein Kreuz aufgebaut ist. Dabei diente der frontale Multi-MG-Block unmittelbar am Saarufer auch als Widerlager für die Saarbrücke. Bereits während des Baus der Anlage, wurde sorgfältig darauf geachtet, die Doppelfunktion des Widerlagers nicht direkt erkennbar zu machen.




Abb. 4: Ausbaggern des neuen Flussbetts in Höhe der Hilbringer Brücke,  im Hintergrund Bahnhof und Tonfabrik (9. Juni 1938)


Abb. 5: Bau der Saarbrücke mit dem bereits fertiggestellten Bunker als Widerlager (24. Juni 1939)


Die obige Abbildung zeigt den Bau der Brücke im Juni 1939. Bereits jetzt ist die Anlage gut getarnt und die bemalten Schartenplatten (oben links im Bild) sind nur durch ihre glatte Oberfläche auszumachen. Der frontale Block bestand aus insgesamt 5 MG-Kampfräumen, wovon der Mittlere, aufgrund der in seinem Schussfeld stehenden Brückenpfeiler, nach Abschluss der Brückenbauarbeiten wenig brauchbar war und nur die B1-Platte 7P7 erhielt. Büren konnte über dem Eingang des mittleren Kampfraums ein Rot-Kreuz-Symbol feststellen und gibt an, dass die Scharte zugemauert war.  Eine Nutzung als Sanitätsraum ist daher durchaus denkbar.





 


Abb. 6: Ähnliche Perspektive 1976 – Die Tarnbemalung ist nicht mehr erkennbar

 

Um den mittleren Kampfraum herum gliederten sich je zwei weitere MG-Kampfstände, links und rechts, die in einem Winkel von 15° bzw. 45° (d.h. 60° zum Fluss) so angeordnet waren, dass eine Überlappung des MG-Feuers möglich war. Diese Kampfstände waren mit der modernen Schartenplatte 78P9 (Baustärke B) mit Kugelkopfverschluss für MG 34 ausgerüstet, welche aus 20 cm Chrom-Molybdän-Stahl bestand und damit von deutlich höherer Qualität und Beschusssicherheit war, als die 7P7 mit ihren vergleichsweise großen Schartenöffnungen [2].

 



Abb. 7: Eine 78P9 im frontalen Block (1976)


Vom frontalen Block führte ein Hohlgang nach hinten (in Richtung der Merziger Innenstadt), von welchen im Bereich der Mitte zwei seitliche Hohlgänge abzweigten. Diese führten zu den beiden Eingangsblöcken an der linken und rechten Seite. Die Eingangsblöcke verfügen über jeweils zwei 1,10m hohe Eingänge und jeweils eine Flankierungsanlage mit einer Schartenplatte 422P01.In den Flankierungsanlagen befanden sich Schießtische, auf denen die Maschinengewehre auf einer (vermutlich leichten) Lafette montiert waren. Der linke Eingang besaß zudem zwei abgemauerte Räume, von denen einer als Fernmelderaum diente. 

 Abb. 8: Linker Eingang vor der Übererdung (1976)


Dieser Fernmelderaum war, wie auch B-Werke, mit einer Festungsvermittlung zu 30 Leitungen ausgestattet. Im rechten Eingang befand sich ein Brunnen, von dem aus eine Wasserleitung bis in den PAK-Kampfstand führte. Am Ende des zentralen Verbindungsganges, schloss sich ein zweigeschossiger Unterkunfts- und Kampfblock an. Er besaß einen Sechsschartenturm 20P7 sowie eine PAK-Kasematte für eine 3,7 cm Festungs-PAK und ein MG 34. Hierbei kam das 47 Tonnen schwere Panzerteil 29P8 zum Einsatz, eine Kombination aus einer stählernen Wand- und Deckenplatte mit 20cm Wandstärke.

 

Abb. 9: Sprachrohr zur Vermittlung in der Flankierungsanlag des linken Eingangs


Im Untergeschoss besitzt der Block einen Zentralraum (1), in dem sich eine 57P8 zu Sicherung des Hohlgangs sowie der Notausgang befinden. Dieser war mit einer Notausgangspanzertür 51P8 gesichert. Im Zentralraum waren insgesamt drei Lüfter montiert. Vom Zentralraum aus kann unter anderem ein kleiner Raum erreicht werden, in dem sich auch Betten befanden (2). Seine Zweckbestimmung ist nicht bekannt, es könnte sich jedoch um den Führerraum handeln. Auf der linken Seite des Untergeschosses schließt sich ein Flur (3) an, in dem sich auch der Durchstieg ins Obergeschoss befindet. Vom Flur aus können zwei Bereitschaftsräume (4) sowie der Hülsenraum (5) für die PAK erreicht werden. Zudem befindet sich noch ein weiterer Raum unklarer Zweckbestimmung im Untergeschoss (6).


Abb. 10: Grundriss des Untergeschosses des PAK-MG-Blocks

 

 Abb. 11: Der PAK-MG-Block im Winter 1939/1940, Hintergrund: Eisenbahnunterführung und Kreissparkasse (rechts)

  

Der Aufbau des Obergeschosses des zweigeschossigen Kampfblocks ist nicht genau bekannt, da dieser Teil bereits  bis 1948 beseitigt wurde. Neben den oben erwähnten Waffenräumen für PAK und Sechsschartenturm, dürfte es im Obergeschoss einen Munitionsraum gegeben haben. Dieser muss ausreichend groß gewesen sein, um den Munitionsvorrat für die sieben Maschinengewehre der Hauptbewaffnung, für die beiden Maschinengewehre der Flankierungsanlagen, für die 3,7cm PAK sowie für die Maschinenpistolen in den Kampfräumen, lagern zu können. Bei einer 10-tägigen Bevorratung wären in WH 349 Munitionsmengen untergebracht gewesen, die selbst B-Werke übertreffen. Darüber hinaus benötigt das Obergeschoss einen Zentralraum oder -flur zwischen den Räumen. Auf einen Flur an der rechten Bauwerksseite weist seine, feindseitig gesehen, asymmetrisch Form hin. Optisch ist dies dadurch erkennbar, dass die rechte Seite des Blockes deutlich breiter als die linke Seite ist. Für einen Zentralraum- oder -flur im Obergeschoss stehen eine Länge von maximal 3,30 m und eine Breite von maximal 3,25 m zur Verfügung. Dort wären auch die Ersatzrohre für die PAK gelagert worden, beispielsweise waagerecht an der Wand befestigt. In einem Flur oder Zentralraum, befände sich auch der Niedergang zum Untergeschoss.

Eine bislang ungelöste Frage war die Logistik des Rohrwechsels für die 3,7 cm PAK. Die Rohrlänge der 3,7 cm PAK L65 betrug 2,405 Meter und Martin Büren schätzt das Rohrgewicht auf 200-300 Kilogramm. Werke am Oder-Warthe-Bogen zeigen ausgeklügelte Lösungen für den Rohrwechsel, wie z.B. kleine Panzertüren statt 48P8-Scharten hinter Eingängen, die meist genau in der Flucht der großen Niedergänge lagen. Die Flure waren verbreitert und Abzweigungen von Hohlgängen so entschärft, dass der Rohrtransport um die Ecke problemlos möglich war.

Die Gegebenheiten in den beiden Eingangsblöcken sind für einen Rohtransport ungünstig und machen ihn in horizontaler Richtung unmöglich. Auf die 1,10 m hohen Eingangstüren folgt eine enge 90° Kurve in die Gasschleuse, die wiederum nur nach einer weiteren 90° Kurve verlassen werden kann. Ein Rohrtausch über den Multi-MG-Block kann ebenfalls ausgeschlossen werden, weil dieser keinen Zugang von außen besaß. Ebenfalls ungünstig ist die Lage des Niedergangs im Untergeschoss, dessen Erreichen vom Hohlgang aus wiederum nur über zwei 90° Kurven möglich ist. Bei einem kleinen, 70cm langen Niedergang 67P9 bzw. 68P9  wie in der Brückensicherung Merzig wäre eine Hubvorrichtung unerlässlich.
Abb. 12: Skizze des PAK-MG-Block, gestrichelt: mögliche Durchreichen zum Rohrwechsel 

  

Die Niedergänge am Oder-Warthe-Bogen sind vom Typ 478P2 und damit 1,5 m lang. Kürzlich aufgetauchte Fotos deuten darauf hin, dass der Rohrwechsel mittels eines Durchgangs auf der Rückseite möglich gewesen sein könnte, welcher genau mittig in den Raum unter dem Sechsschartenturm führt. Martin Büren berechnete den Aufbau des PAK-MG-Blocks durch Fotoanalyse mithilfe von CAD-Software und kam zu dem Schluss, dass das Rohr der PAK exakt in der Flucht der Turmmitte liegt, sodass ein Durchreichen eines Ersatzrohres von außen bis zur PAK möglich gewesen wäre. Die fotografischen Hinweise auf einen Zugang im Obergeschoss befinden sich zudem im Einklang mit den Erkenntnissen aus der CAD-Analyse, dass das Bodenniveau des Sechsschartenturms ca. 80 cm unter dem Fahrbahnniveau gelegen haben dürfte.

Darüber hinaus berichtete der damalige Kreisbrandinspektor Bühler Martin Büren 1976 von einem Eingang im hinteren Bereich des PAK-MG-Blocks.  Einen weiteren Hinweis auf einen Zugang im Obergeschoss des PAK-MG-Blocks liefern die zahlreichen Fotografien, die von Angehörigen der 79. Infanteriedivision angefertigt wurden. Diesen Bildern ist gemein, dass sich jeweils Holzbaracken auf der Rückseite der Anlage befanden und sich die Besatzungen auch in diesem Bereich aufgehalten haben. Es klingt wenig überzeugend, dass sich 15 Mann im Ernstfall zunächst zu den Eingangsblöcken begeben mussten, durch die Hohlgänge bis zum Untergeschoß des PAK-MG-Blocks laufen sollten, um dann Mann für Mann eine Leiter zu ihren Waffen hochzuklettern.                                                                               Abb. 13: Rückseite des PAK-MG-Blocks mit möglichem Durchgang 

 

Für die Angehörigen der 79. Infanteriedivision hatte der Bunker eine besondere Bedeutung als weithin sichtbare und bei vielen Divisionsangehörigen bekannte Verteidigungsanlage. Nicht zuletzt dürfte der Bekanntheitsgrad der Anlage dadurch gestiegen sein, dass der Kommandeur der 79. ID, General Strecker, die Hilbringer Brücke im Jahr 1940 im Rahmen einer Feierstunde offiziell eröffnete.

 



 Abb. 14: Die Besatzung der Brückensicherung (79. Infanteriedivision) 1939/1940

Die Brückensicherung Merzig darf heute als eine der meistfotografierten Westwallanlagen gelten. Im Laufe der letzten fünf Jahre sind auf der Auktionsplattform eBay Fotos des PAK-MG-Blocks aus zahlreichen Perspektiven aufgetaucht.

 




Abb. 15: Die geschmückte Brücke am Tag ihrer Einweihung 1940


Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zunächst ein allgemeines Betretungsverbot für die Bunkeranlage verhängt. Die Ende 1944 gesprengte Brücke wurde dann im Jahr 1948 nach den alten Plänen wiederaufgebaut und das „Verkehrshindernis“ in der Straßenmitte obertägig beseitigt. Auch die Brücke von 1948 nutzte den Multi-MG-Block als Widerlager, sodass dieser Teil zunächst erhalten blieb, ebenso wie die Eingangsblöcke. Der nördliche Eingangsblock wurde später im Zuge der Ortsumgehung Merzig übererdet.
 

Abb. 16: Abriss der wiederaufgebauten Brücke, zwei Kampfräume des Multi-MG-Blocks sind schon für das Widerlager der neuen Brücke abgetragen worden (1982)


 

Der Verlängerung dieser Ortsumgehung sowie dem parallel durchgeführten Saarausbau fiel dann Anfang der 1980er Jahre der Multi-MG-Block zum Opfer. Die Brücke von 1948 war für die neuen Erfordernisse der Saarschifffahrt zu niedrig und wurde durch die heute noch bestehende Brücke ersetzt, welche sich knapp 10 Meter nördlich der Vorherigen befindet. Sie benötigte daher auch ein neues Widerlager. Die restlichen drei MG-Kampfstände wurden anschließend zugunsten der verlängerten B51 bis auf die Rückwand abgetragen, in der sich heute noch die Scharte für die Verteidigung des Hohlgangs und der Zugang zum Gangsystem befinden.
Die Anlage steht unter Denkmalschutz [4] und ist verschlossen.


 


 Abb. 17: Reste einer 7P7 auf einem Schrottplatz in Merzig – Die Platte soll aus der Brückensicherung stammen


Abb. 18: Die Rückwand des beseitigten Multi-MG-Blocks mit 48P8 und Sprachrohrnische liegt heute frei                Abb. 19: Die gleiche Ansicht vor dem Abriss des Blocks (1976)


Abb. 20: Bau der Saarbrücke über den gefüllten Saardurchstich, im Hintergrund ein Flächendrahthindernis (19. Juni 1939)


Textquellen:

  • [1] BETTINGER, D.-R./BÜREN, M. (1990): Der Westwall – Die Geschichte der deutschen Westbefestigungen im Dritten Reich. Band 1: Der Bau des Westwalls 1936-1945. Biblio Verlag. Osnabrück
  • [2] BETTINGER, D.-R./BÜREN, M. (1990): Der Westwall – Die Geschichte der deutschen Westbefestigungen im Dritten Reich. Band 2: Die technische Ausführung des Westwalls. Biblio Verlag. Osnabrück
  • [3] GRASSER, K./STAHLMANN, J. (1983): Westwall. Maginot-Linie. Atlantikwall. Bunker- und Festungsbau 1930-1945. Druffel-Verlag. Leoni/Starnberger See
  • [4] MINISTERIUM F. BILDUNG UND KULTUR SAARLAND: Denkmalliste des Saarlandes – Teildenkmalliste Landkreis Merzig-Wadern. Stand 13.10.2017. Saarbrücken
  • [5] LIPPMANN, H. (Hrsg.) (2002): DAWA-Nachrichten Ausgabe 40. Verlag Harry Lippmann. Köln
  • [6] BArch RH 19-III-30


Bildquellen:

  • Google Earth/[2], S. 55/Bearbeitung Martin Lang (1)
  • Bürgerarchiv Merzig (2, 4, 5, 16, 20)
  • Digital History Archive, Marc Romanych via NARA (3)
  • Sammlung Martin Lang (9, 13, 17, 18)
  • Sammlung Martin Büren (6, 7, 8, 19)
  • Sammlung Martin Rupp (11)
  • Martin Büren (10)
  • Martin Büren, bearbeitet von Martin Lang (12)
  • Sammlung Hans Sänger/Traditionsverband der 79. Infanterie-Division (13, 15)